SALZBURG. Dutzende grüne Aktenordner liegen auf dem Schreibtisch. Der Mann dahinter hält einen Energydrink in der Hand. Kurt Jelinek ist seit 2006 Rechtsanwalt, spezialisiert auf Strafrecht. In dieser Hinsicht hat er die größte Kanzlei in Salzburg aufgebaut. 16 Mitarbeiter, darunter fünf Juristen, zählt sein Büro gegenüber dem Gerichtsgebäude. Zudem ist er in den Vorstand der österreichischen Strafverteidiger gewählt worden. Bei aufsehenerregenden Fällen – egal ob es um Mord oder einen Fußballspieler mit Vergewaltigungsvorwürfen geht – ist Jelinek meist nicht weit. Ein Satz, der in vielen Fällen aus seinem Mund kommt, lautet: „Meinem Mandanten tut es sehr leid, was passiert ist.“ Aktuell verteidigt der Rechtsanwalt jenen Grundwehrdiener in Kärnten, der auf einen Soldaten geschossen hat. Ebenso wie jenen Alpinisten, dessen Partnerin (33) auf dem Großglockner unterhalb des Gipfels erfror.
SN: Wenn ich Kurt Jelinek brauche, dann habe ich ein gröberes Problem am Hals – kann man das so sagen?
Kurt Jelinek: Nicht unbedingt. In vielen Fällen ja, aber nicht immer. Zumindest ist es nicht immer ein grobes. Manche Fälle sind eben sehr medienträchtig, aber bei Weitem nicht alle.
SN: Reißen Sie sich um die spektakulären Fälle? Oder wie kommen Sie zu all diesen Klienten?
Ich bin Wahlverteidiger. Ich werde angerufen, vom Klienten, von Verwandten, aber auch angeschrieben per E-Mail. Bei einem Häftling ruft meist ein Verwandter an. Es sind viele Empfehlungen dabei. Und man hat nach so langer Zeit natürlich auch ein Netzwerk. Das meiste ist aber Mundpropaganda.
SN: Soll heißen, im Gefängnis spricht es sich herum, dass der Jelinek die Bösen vertritt?
Das Gefängnis ist ein kleiner Teil. Ich habe viele Verfahren, die man nicht sieht. Ich vertrete Lehrer, Polizisten, Bürgermeister, Anwaltskollegen. Da sind viele Leute, die zu Unrecht beschuldigt werden. Und es geht ja nicht nur um Strafverteidigung, ich vertrete auch in Finanzstrafverfahren oder bei Wirtschaftsstrafsachen.
SN: Wie viele Verteidigungen sind das pro Jahr?
Wir sind fünf Juristen in der Kanzlei. Mehrere Hundert Akte im Jahr kommen da schon zusammen.
SN: Wie lukrativ ist das Geschäft als Strafverteidiger? Gibt’s bei Freispruch ein Erfolgshonorar für Sie?
Es kommt nicht von selber. Und es ist ein hoher zeitlicher Aufwand, das darf man nicht vergessen. Wir verhandeln zum Teil mehrmals am Tag. Und es arbeitet nie nur ein Jurist an einem Akt, sondern immer mehrere. Einen Erfolgszuschlag bei einem Freispruch kann man verrechnen, selbstverständlich. Es ist von Fall zu Fall unterschiedlich, was ein Erfolg ist und was nicht.
SN: Warum haben Sie sich für Strafrecht entschieden?
Es hat mir am besten gefallen. Da hast du gleich ein Urteil, nicht wie im Zivilverfahren, wo etwas schon mal viele Monate dauert, bis es abgeschlossen ist. Bei Strafrecht gibt es immer eine relativ schnelle Entscheidung. Du bist mit Menschen konfrontiert, es hat auch mit Psychologie zu tun.
SN: Inwiefern?
Du musst Menschen einschätzen können, musst schnell reagieren und Entscheidungen treffen. Und man muss die richtigen Worte für das Gegenüber finden, vielleicht auch für den Richter, die Schöffen oder die Geschworenen. Man muss sich in sein Gegenüber hineinversetzen.
SN: Sie haben viele Verbrecher vertreten, darunter Mörder, Vergewaltiger: Wie kann man das mit sich vereinbaren?
Es gibt sehr viele, die schuldlos beschuldigt oder angeklagt werden. Und es hat jeder das Recht auf eine ordentliche Verteidigung. Jeder Fall ist anders. Wenn jemand schuldig ist, dann schaut man, dass die Strafe so niedrig wie möglich ausfällt. Wenn er nicht schuldig ist, dann macht man alles, um einen Freispruch zu erzielen.
SN: Wissen Sie bei Ihren Mandanten immer, ob sie schuldig sind oder nicht?
Nicht immer. Ich kann ja nicht ausschließen, dass ich auch angelogen werde. Aber ich sage es einem Mandanten, wenn ich ihm nicht glaube. Ich konfrontiere ihn damit.
SN: Haben Sie je einen Fall bereut?
Nein. Wenn ich einen Fall übernehme, dann mache ich das.
SN: Je einen abgelehnt?
Selbstverständlich.
SN: Weil?
Weil es mit der Person schwierig war. Weil ich nicht einverstanden war mit der Verteidigungslinie. Wenn Emotionen im Spiel sind, dann ist es immer schwierig.
SN: Noch nie ein schlechtes Gewissen gehabt?
Nein.
SN: Wenn eine Familie anwesend ist, deren Kind gerade bei einem Verkehrsunfall getötet worden ist, und Sie für den Raser eine mildere Strafe fordern, macht Ihnen das nichts aus?
Das ist die Wahrnehmung von Rechten. Es hat jeder das Recht, gut verteidigt zu werden. Und es gibt ja auch viele Freisprüche.
SN: Welcher Fall ist besonders in Erinnerung geblieben?
Der Finanzskandal. Aber auch der Fall jenes Polizisten, der wegen 16-fachen Amtsmissbrauchs verurteilt wurde. Da habe ich am Anfang selber nicht geglaubt, dass es das gibt, dass Akteninhalte falsch dargestellt wurden. Fünf Jahre lang wurde ich da attackiert – und dann stellt sich heraus, das war tatsächlich so.
Die tragischen Fälle sind, wenn so junge Menschen vor einem sitzen, wenn es einen Verkehrsunfall mit einem Toten gibt. Da steht dann auf einmal ein 17-, 18-Jähriger vor dir. Ich kann mich an einen Unfall in Nußdorf erinnern, wo eine Lenkerin ihre zwei besten Freundinnen verloren hat. Das sind Fälle, die für die Täter- und die Opferseite immer schlimm sind.
SN: Hat Kurt Jelinek selbst schon einmal einen Anwalt gebraucht?
Also Angeklagter war ich noch nie. Mein Ausbildungsanwalt hat immer gesagt: Ein Anwalt, der sich selbst vertritt, ist ein Esel.
sn.at | Heidi Huber
Bild: RA Mag. Kurt Jelinek | KWER